"Raum der Stille"
Ein neues kirchliches Angebot, welches eigentlich gar keines ist…
Unser Kirchenraum kann für einmal sprechen und führt ein Interview. Seine Fragen richten sich an Pfarrer Adrian Papis-Wüest zu einem neuen Angebot, welches eigentlich gar keines ist: Raum der Stille
Kirchenraum: Lieber Adrian, wir sind ja per du, schliesslich arbeitest du schon über 10 Jahre in mir drinnen, also lieber Adrian, braucht es jetzt auch noch dieses Angebot in mir, haben wir nicht schon genug Events, welche in mir stattfinden?
AP: Tatsächlich läuft in unserer Kirche vieles: Da wird gepredigt, gesungen, musiziert, Unterricht abgehalten, getauft, beerdigt. Aber zu deiner Frage: Erstens ist dieses Angebot gerade so konzipiert, dass eben nicht noch etwas Zusätzliches läuft und zweitens ist es kein "Angebot" im eigentlichen Sinne es Wortes: Es wird den Leuten bei diesem Anlass nämlich gar nichts geboten….
Kirchenraum: …nichts geboten wird den Leuten, also wirklich, ist das nicht skandalös?
AP: Stimmt ja auch nicht ganz, du hast recht. Den Leuten wird ein Raum der Stille geboten, das ist entschieden mehr als "nichts"!
Kirchenraum: Ein Raum der Stille also, aha. Warum soll das denn nötig sein?
AP: In unseren Gottesdiensten sprechen wir viel von "Stille", von "in der Gegenwart leben", von "Gott im Hier und Jetzt erleben", von "Innehalten" etc. Aber wir setzen das in den Gottesdiensten nur ganz selten wirklich konkret um.
Kirchenraum: Aber ausserhalb der Gottesdienste bin ich ja immer geöffnet, die Leute können 24 Stunden in meinen Raum kommen und Ruhe und Stille erfahren.
AP: Genau. Und da ich ja direkt neben dir wohne, bekomme ich häufig mit, dass dies auch genutzt wird. Nicht selten geschieht es allerdings, dass ich oder sonst jemand von unseren Mitarbeitenden in die Kirche kommen, etwas vorbereiten möchten und dann die Leute in ihrer Ruhe stören. Oder umgekehrt, dass ich schon in der Kirche bin und Leute hineinkommen, die eigentlich Ruhe möchten und sogleich wieder umkehren, weil sie realisieren, dass ich gerade etwas einrichte. Das tut mir dann immer sehr leid. Bei diesem Angebot soll klar sein: In dieser Zeit bist du, lieber Kirchenraum, wirklich einzig und alleine für die Stille reserviert!
Kirchenraum: Gut, dann will auch ich mir Mühe geben und dann auch ganz ruhig sein. Aber a propos Ruhe: Glaubst du nicht, dass die Menschen in Langnau diese Ruhe auch woanders finden: in der Natur, in einer Wellness-Landschaft oder so?
AP: Auf jeden Fall sollen und können sie das. Ich selber merke jedoch, dass ich in der Natur eine andere Art von Ruhe erfahre, mehr so das Eins-Sein mit der Natur, die frische Luft, die Bewegung, die Landschaften, Pflanzen und Tiere geniesse. Ähnliches gilt für Wellness-Angebote, die ich übrigens auch sehr schätze: Dort geht es darum, dem äusseren Körper, der Haut, den Muskeln etwas Gutes zu tun. Das ist eine andere Form von Ruhe und Meditation, als sich in einen Ruheraum zu begeben. Im Ruheraum der Kirche kann ich mehr zur Ruhe in mir oder mit mir selbst kommen, weil ich nicht noch gleichzeitig die Natur erleben möchte oder das warme Wasser geniessen möchte. Es geht weniger um die äusseren Impulse als vielmehr um die Inneren.
Kirchenraum: Aber die Leute können sich auch zu Hause ausruhen, oder nicht?
AP: Also erstens geht es weniger ums ausruhen, sondern darum, in die Ruhe zu kommen, ein wesentlicher Unterschied! Das mit dem Zuhause-Ruhe-Finden ist für mich so eine Sache. Manchmal gelingt mir das. Aber sehr schnell, wenn ich mir Ruhe in meinen vier Wänden vornehme, kommt mir etwas anderes in den Sinn, das ich auch noch erledigen kann, oder ich lese ein Buch, höre Musik, oder nehme ein Bad. Das sind auch Arten von zur Ruhe kommen, aber wieder von einer anderen Qualität und im eigentlichen Sinne keine Ruhe, sondern einfach eine ruhige Art von Aktivität, aber eigentlich keine Ruhe.
Kirchenraum: Jetzt hast du viel über Ruhe gesprochen. Warum soll die überhaupt so wichtig sein?
AP: Ich merke, dass ich oft gefangen bin in Aktivitäten, Plänen, Denken, Fühlen und Handeln. Mein Körper und mein Geist sind fast pausenlos aktiv. Bei dieser dauernden Aktivität geschieht es mir nicht selten, dass ich mich selber verliere: verliere eben gerade in dieser Pausenlosigkeit. Und selbst wenn ich einmal ruhig auf dem Sofa liege, hirnt und hirnt es immer noch. Ich bin dauernd mit meinen Gedanken in der Vergangenheit oder in der Zukunft, aber ganz selten in der Gegenwart mit meinem Körper, mit meinem Fühlen, mit meinem Wahrnehmen. Wenn mir das dann allerdings einmal gelingt, was genug selten ist, erlebe ich eine grosse innere Zufriedenheit, weil ich mich lösen kann von all dem Lärm in meinem Kopf. Diese Zufriedenheit, ganz im Augenblick, ganz aufmerksam und achtsam zu sein, hat für mich eine sehr spirituelle Dimension. All die grossen religiösen Figuren, Abraham, Moses, Jesus, aber auch Vertreter anderer Religionen, haben immer wieder Auszeiten genommen, haben sich irgendwohin zurück gezogen von den anderen Menschen und diese innere Ruhe gesucht und haben dabei auch Gott erfahren. Das Angebot "Raum der Stille" soll eine Auszeit in diesem Sinn und Geist ermöglichen.
Kirchenraum: Und es wird den Leuten in dieser Stunde wirklich nichts, rein gar nichts geboten…ich kann es immer noch nicht fassen?!
AP: Tatsächlich, von mir als Pfarrperson wird (fast) nichts geliefert. Nur der Raum wird zur Verfügung gestellt. Es ist ein Angebot, dass ohne gegenseitige Erwartungen auskommt: Die Leute sollen nichts von mir erwarten, ich erwarte im Gegenzug auch nichts von ihnen…das ist definitiv anders, als bei einem Gottesdienst, wo verschiedene gegenseitige Erwartungen im Raum sind.
Kirchenraum: Und es gibt auch keine Inputs oder Anregungen während dieser Zeit?
AP: Sagen wir es so: diese sind fakultativ. Es werden beim Eingang hinten ein paar Materialien aufgelegt werden. Diese sind gedacht für Leute, die das Thema Stille und Ruhe auch noch gedanklich und sinnlich vertiefen möchten: Texte, Bilder, Gegenstände, welche meditiert werden können. Ausserdem gibt es verschiedene Sitzgelegenheiten in der Kirche: Neben den Kirchenbänken, stehen auch verschiedene Stühle, Sessel und Meditationsschemel zur Verfügung, man kann sich auch mit einer weichen Unterlage auf den warmen Kirchenboden legen.
Kirchenraum: Gibt es wenigstens Musik…oder etwas zum Anschauen?
AP: Von Zeit zu Zeit wird ruhige Musik zu hören sein, aber mehrheitlich ist es in der Kirche ruhig. Die Kirche wird nur schwach ausgeleuchtet sein, vor allem mit Kerzenlicht. Ach ja: zum Abschluss, ca. 5 Minuten vor dem Ende, werde ich etwas auf dem Klavier improvisieren.
Kirchenraum: Spannend, der Pfarrer improvisiert auf dem Klavier…da lohnt es sich ja doch zu kommen!
AP: Die Leute sollen aber nicht deswegen kommen. Deshalb habe ich auch keinen Berufsmusiker dafür engagiert: Es soll ja eben gerade nichts geboten werden, auch keine "attraktive Musik", sondern nur die Ruhe. Meine Improvisation ist deshalb ganz einfache Musik, einfach als Signal, dass die Zeit um ist.
Kirchenraum: A propos Zeit: muss man die ganze Zeit, eine Stunde lang von Anfang bis Schluss bleiben?
AP: Nein, alle sind eingeladen solange in der Stille zu verweilen, wie es für sie richtig ist. Man kann jederzeit kommen und gehen wie man will. Es gibt auch keinen anschliessenden Kirchenkaffee oder so etwas Ähnliches. Ich werde jedoch die ganze Zeit dort sein, eben auch in der Stille verweilen. Im Anschluss bin ich auch gerne bereit für ein Gespräch, falls jemand aus der Ruhe heraus ein Bedürfnis danach hat. Und übrigens: Es sind alle Menschen, egal welcher religiösen Ausrichtung, willkommen. Einzige Bedingung ist auch wirklich ruhig zu sein in dir….
Kirchenraum: …da kümmere ich mich darum, eigentlich ist es ja meine Spezialität, Menschen diesen Raum und diese Atmosphäre der Ruhe zur Verfügung zu stellen…sei du dann nur mal selbst schön in der Ruhe! Danke für das Gespräch.
AP: Bitte, war schön einmal mit dir zu sprechen nach all den Jahren..!